Der Oldenburger Wissenschaftler Prof. Dr. Thomas Luhmann ist am 04. Oktober 2024 in Köln mit dem GOLDENEN LOT ausgezeichnet worden. Der Verband Deutscher Vermessungsingenieure (VDV) würdigt mit dieser Auszeichnung einen außergewöhnlichen und herausragenden Wissenschaftler, Forscher und Hochschullehrer. VDV-Präsident Wilfried Grunau: „Bei der Auszeichnung mit dem GOLDENEN LOT geht es nicht einfach nur um die Auszeichnung technologisch begründeter Innovationen, die den Wandel der Welt vorantreiben, sondern vielmehr auch um die Art und Weise, wie die Preisträger die technologische und soziale Ebene miteinander verflechten. Professor Thomas Luhmann ist unbestritten DIE Autorität der Nahbereichsphotogrammetrie und blickt zugleich als Singer-Songwriter deutschsprachiger Chansons weit über den Horizont der Geodäsie hinaus.“
Die Laudatio auf Thomas Luhmann hielt die Vorjahrspreisträgerin Dr. Margot Käßmann.
Über den Preisträger
Professor Luhmann ist Mitbegründer und langjähriger Leiter des Instituts für Angewandte Photogrammetrie und Geoinformatik (IAPG) an der Jade Hochschule in Oldenburg und er ist Initiator der bekannten Oldenburger 3D-Tage. Von 1993 bis 2000 leitete Luhmann den Arbeitskreis „Nahbereichsphotogrammetrie“ der Deutschen Gesellschaft für Photogrammetrie, Fernerkundung und Geoinformation (DGPF), war von 2000 bis 2004 Vizepräsident und von 2004 bis 2008 Präsident der DGPF. 2010 habilitierte Luhmann im Fachgebiet Photogrammetrie an der TU Dresden. Neben mehr als 300 wissenschaftlichen Publikationen hat er die internationalen Standardwerke „Nahbereichsphotogrammetrie“ und „Close-Range Photogrammetry and 3D Imaging“ verfasst. Luhmann baute neben zahlreichen Kooperationen zu nationalen und internationalen Einrichtungen unter anderem ein deutsch-ukrainisches studentisches Austauschprogramm für Photogrammetrie und Laserscanning auf und unterstützte bei der Modernisierung ukrainischer Lehrpläne. Er wurde unter anderem mit dem Niedersächsischen Wissenschaftspreis, der Karl-Kraus-Medaille und der Meydenbauer-Medaille der DGPF ausgezeichnet. 2016 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Kiev National University for Construction and Architecture, Ukraine. Anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand im September 2023 wurde ihm die höchste Auszeichnung der Ukrainischen Gesellschaft für Geodäsie und Kartographie verliehen.
„Die Wissenschaft ist der Verstand der Welt, die Kunst ihre Seele.“ Dieses Zitat des russischen Schriftstellers Maxim Gorki macht die enge Verbindung der beiden Disziplinen Wissenschaft und Kunst deutlich. Ich denke, dass mit diesem Zitat auch der diesjährige Preisträger des GOLDENEN LOTES ganz treffend beschrieben ist. Thomas Luhmann hat eben nicht nur als Geodät gewirkt, sondern hat auch durch seine künstlerischen und sozialen Leistungen positiv auf sich aufmerksam gemacht. Ein Namensvetter unseres Preisträgers, Niklas Luhmann (kein Geodät, sondern Soziologe) sagte einmal: „Erziehung ist eine Zumutung, Bildung ein Angebot.“ Und auch das eine Formulierung, die meines Erachtens durchaus die Lehrtätigkeit und das berufliche Schaffen von Thomas Luhmann beschreibt. Bildung, so wie Thomas Luhmann es versteht, bedeutet nämlich nicht, die Köpfe der Studierenden mit Wissen vollzustopfen, sondern insbesondere die Flamme der Neugier in ihnen zu entzünden und so den Geheimissen des Wissens, im konkreten Falle denen der Nahbereichsphotogrammetrie, auf die Spur zu kommen.
Das fachliche Spezialgebiet von Thomas Luhmann umfassend zu erklären, ist nicht unbedingt trivial. Er selbst sieht das wahrscheinlich anders. Und genau das ist auch seine besondere Fähigkeit als Hochschullehrer: Komplexe Zusammenhänge so darzustellen, dass die Lernenden neugierig werden und mehr wissen wollen.
Apropos komplex: Die ganze Welt, in der wir leben, ist komplex. Manche mögen dieses Wort schon nicht mehr hören. Dennoch müssen wir uns damit beschäftigen, weil Komplexität bedeutet, dass viele einzelne Player eigenständige Entscheidungen treffen, aber jede dieser Entscheidungen Rückbezug zu anderen Playern hat. Das heißt also, es herrscht eine große Vernetzung – und in dieser Vernetzung auch noch eine Dynamik. Leider sind wir Menschen in unserem Denken meist darauf trainiert, einzelne Dinge ganz solitär zu betrachten. Einzelereignisse wie beispielsweise der Durchbruch von ChatGPT, diese künstliche Intelligenz. Plötzlich ist sie da und verändert alles. Naja. Haben wir nicht die letzten 30 Jahre permanent über KI gesprochen? Und jetzt tun wir so, als wäre sie gerade erfunden worden und direkt um die Ecke gekommen. Unser menschlicher Fokus gilt dem, was gerade passiert, was hochkocht und was in unserer so genannten sozialen Blase kommuniziert wird. Genau deswegen sehen wir oft eben nicht, wie die Dinge zusammenhängen. Wenn wir allerdings die Zusammenhänge nicht sehen, dann werden wir immer nur Symptome bekämpfen und nicht den Ursachen auf den Grund gehen. Erst durch die Erkenntnis, wie die Dinge zusammenhängen, können wir voraus sein. Wenn wir interessante Zusammenhänge entdeckt haben, erkennen wir auf einmal, dass es jetzt hier spannend ist zu handeln, weil der Zusammenhang für unsere Zukunft eine große Wirkung haben wird. Das Denken in Systemen, aber vor allem das Handeln in Systemen wird zukunftsentscheidend sein. Raus der Linearität, raus aus dieser kurzfristigen Ereignisfokussierung und hin zum Denken in Zusammenhängen und in Dynamiken. Und genau das ist es, was Thomas Luhmann in der Lehre gemacht hat: er hat die Flamme der Neugier entzündet, indem er die Zusammenhänge sichtbar gemacht hat. Oder um es etwas prosaischer mit den Worten von Antoine de Saint-Exupéry zu sagen: „Wenn du ein Schiff bauen willst, beginne nicht damit, Holz zusammenzusuchen, Bretter zu schneiden und die Arbeit zu verteilen, sondern erwecke in den Herzen der Menschen die Sehnsucht nach dem grossen und schönen Meer.“ Max Weber, einer der Gründerväter der deutschen Soziologie, hat in seinem Aufsatz „Wissenschaft als Beruf“ festgestellt, dass es „prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gäbe, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne“. Und das klingt dann für uns Ingenieure auch etwas vertrauter: es gibt also etwas zu berechnen. Da simmer dabei, wie der Kölner zu sagen pflegt.
Lassen Sie mich noch mal zurückkommen auf das Eingangszitat von Gorki, wonach die Wissenschaft der Verstand der Welt ist und die Kunst ihre Seele: Das deutsche Wort „Kunst“ ist die Übersetzung des lateinischen Wortes Ars. Dieses wiederum ist die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes Techné. Techné meint damit gerade nicht Kunstwerke, die man etwa mit Hilfe der Kategorie der Schönheit bewertet, sondern Techné bezieht sich auf Kunstfertigkeit, auf ein regelgeleitetes Herstellen von Produkten, auf Handwerk. Damit kann man feststellen, dass die heutigen Begriffe von Technik und Kunst etymologisch auf dieselbe Quelle zurückgeführt werden können. In dieser historischen Perspektive ist Technik also Kunst. Der Philosoph Martin Heidegger verband mit dem Begriff Technik übrigens eine unabweisbare Gefahr, wird durch die Technik die Erde doch vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Nutzbarmachung betrachtet. Und schauen wir uns beispielsweise die Ursachen des Klimawandels an, so könnte er durchaus Recht haben. Das Interessante ist aber, dass Heidegger der Technik die Kunst gegenübergestellt hat und darin sogar Alternativen zu einem rein technischen Weltbezug gesehen hat.
Also hier die Technik und dort die Kunst. Ich denke, dass gerade in der Vielschichtigkeit und Heterogenität dieser beiden Begrifflichkeiten genau die Stärke liegt, die es zu nutzen, und natürlich auch die Herausforderung, der es zu begegnen gilt. Je nach Perspektive rücken nämlich unterschiedliche Aspekte ins Zentrum. Kann man also beispielsweise als Geodät rein technische Verfahren entwickeln und gleichzeitig auch der Kunst Genüge tun? Ja! Und unser Preisträger hat es auch gezeigt: Thomas Luhmann ist nicht nur der technophile Geodät, sondern als Singer-Songwriter zugleich auch ein Künstler. Singer-Songwriter haben das Talent, Situationen und Stimmungen in Musik einzufassen. Oft weiß man selbst nicht, wie man die unterschiedlichsten Emotionen ausdrücken soll. (Gute) Musiker hingegen schaffen es, Gefühle in Akkorde und Refrains zu verpacken und ihre Zuhörer damit zu fesseln Und solche Künstler können auch das ausdrücken, was wir mit Worten nur umranken können. Die Gabe, bei wildfremden Menschen Gänsehautmomente zu erzeugen, ohne davor auch nur ein einziges Wort mit ihnen gesprochen zu haben, ist etwas ganz Besonderes. Luhmanns Lieder sind anspruchsvoll, poetisch und authentisch zugleich. Als Künstler will Luhmann den Hoffnungsschimmer, sei er auch noch so gering. Jeder Song ist in meinen Ohren ein echtes Statement, sogar der Vermesserblues, den wir nachher noch hören werden. Und um noch mal auf den Soziologen Max Weber zurückzukommen – das ist der, der meinte, dass alle Dinge im Prinzip durch Berechnen beherrschbar seien: Weber vertrat die Position, dass eine wissenschaftliche Leistung nur durch Spezialisierung zu erreichen sei. Zitat: „Nur durch strenge Spezialisierung kann der wissenschaftliche Arbeiter tatsächlich das Vollgefühl, einmal und vielleicht nie wieder im Leben, sich zu eigen machen: hier habe ich etwas geleistet, was dauern wird.“
„Lieber Thomas, Du hast tatsächlich etwas geleistet, was dauern wird! Etwas Großes! Fachlich wie auch künstlerisch. Ich freue mich sehr, Dich im Kreise der Lotträger begrüßen zu können.“