Die Professorin Dr. Antje Boetius ist am 02. Dezember 2022 in Köln mit dem GOLDENEN LOT ausgezeichnet worden. Der Verband Deutscher Vermessungsingenieure (VDV) würdigt mit dieser Auszeichnung ihr außergewöhnliches Engagement im Bereich der Klimaforschung und ihre wegweisenden Untersuchungen zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Arktischen Ozean und dessen Biodiversität. Prof. Dr. Boetius ist Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Die Laudatio hielt der Vorjahrespreisträger und Präsident des Club of Rome Deutschland, Prof. Dr. Mojib Latif.
Antje Boetius erforscht die Folgen des Klimawandels auf die Ozeane und Polarregionen, besonders im Zusammenhang mit der arktischen Amplifikation, den Veränderungen der biologischen Pumpe sowie mikrobieller Gemeinschaften im Meer. Die Wissenschaftlerin hat an mehr als 40 Expeditionen auf internationalen Forschungsschiffen teilgenommen und beschäftigt sich derzeit vor allem mit Fragen der Auswirkungen des Klimawandels auf die Biogeochemie und Biodiversität des Arktischen Ozeans. Als Tiefseeforscherin beschäftigt sie sich zudem mit der Entdeckung unbekannter Lebensräume der Tiefsee, besonders von extremen Lebensgemeinschaften und Tiefseeökosystemen unter Eis, an Seebergen, Schlammvulkanen, Gashydraten sowie kalten und heißen Quellen. Ihre Studien zu den ökologischen Folgen von Tiefseebergbau zeigen auf, welche Konsequenzen die Störung des Meeresbodens langfristig verursachen.
Antje Boetius ist darüber hinaus Expertin für Wissenschaft und Kultur im Anthropozän und arbeitet mit Künstlern, Schriftstellern und Publizisten zu Fragen der gesellschaftlichen Transformation und ihrer Spuren in Kunst und Kultur, unter anderem auch im Rahmen des Projektes Theater des Anthropozän unter der Schirmherrschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.
Als Wissenschaftsmanagerin schreibt und kommuniziert sie zudem über Fragen von Diversität und Chancengleichheit in der Wissenschaft, Nachhaltigkeitsstrategien und Transformationsprozesse.
Antje Boetius ist gewähltes Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz und des Wissenschaftsrates Deutschlands. Ihre Arbeit machte sie einer breiten Öffentlichkeit durch Publikationen, Fachartikel und auch zahlreiche TV-Auftritte zugänglich. Dazu zählen Beiträge in Wissenschaftssendungen wie makro (3sat), Quarks & Co (WDR) und Terra Xpress (ZDF) oder auch Auftritte bei Tietjen und Hirschhausen (NDR) und TV Total (Pro7).
In bewegten Zeiten wie diesen herrscht ein starker Veränderungs- und Handlungsdruck – auf Politik und Wirtschaft ebenso wie auf die Wissenschaft und die Gesellschaft. Dies erfordert Weiterentwicklung und Anpassung und stellt manche vor extreme Herausforderungen. Oder um es mit dem Lieblingswort der Ratlosen zu sagen: die Situation ist ambivalent. Nehmen wir einfach nur mal Sachthemen wie Energie, Klimawandel, Mobilität, Boden und betrachten die entsprechenden Diskussionen dazu. Dabei liegt gerade in der Vielschichtigkeit und Heterogenität dieser Themen genau die Stärke, die es auszuspielen, und zugleich die Herausforderung, der es zu begegnen gilt. Je nach Perspektive rücken nämlich differente Aspekte ins Zentrum der Analyse. Und angesichts der typischen Divergenzen von Fragen nachhaltiger Klima- und Energiepolitik kann die gegebene Möglichkeit des Perspektivenwechsels also durchaus ein entscheidender Vorteil ein. Zugleich stellt diese Multi-Dimensionalität uns alle aber vor die Herausforderung, überhaupt als jeweils eigenständige Stimme im Nachhaltigkeitsdiskurs vernehmbar zu sein.
Wie kann man diesen Herausforderungen nun wirksam begegnen? Welche Methoden, Strategien und Vorgehensweisen nützen etwas, und welche persönlichen Einstellungen können helfen, Hürden zu überwinden?
Ich denke, was es dafür braucht, ist zum einen der gesellschaftliche und politische Wille, zum anderen aber natürlich auch die Akzeptanz von notwendigen Maßnahmen. Ein ‚Weiter so’ ist in der Logik der Klimawissenschaft jedenfalls keine Option. Zumindest nicht dann, wenn künftige Generationen halbwegs vergleichbare Lebensbedingungen vorfinden sollen. „Preparedness ist etwas, was unsere Gesellschaft lernen muss.“, hat unsere Preisträgerin in diesem Kontext einmal in einem Interview gesagt. Innovation entsteht aus Vertrauen, dem Fundament aller sozialer Beziehungen – und dieses Vertrauen gilt es herzustellen, zu erhalten und zu stärken. Wenn man etwas verstanden hat, kann man es auch verändern, so die Devise (nicht nur) von Antje Boetius.
Wenn wir all unser Wissen und Können zusammenbringen, wenn wir, nicht nur als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch als Gesellschaft Technologie intelligent und im Sinne einer nachhaltigen Lebensqualität einsetzen und dies alles dann an den Bedürfnissen der Menschen orientieren, dann bewegen wir uns sehr wahrscheinlich in eine richtige Richtung. Und auch dieses „Wir“ ist sehr wichtig. Auch wenn derzeit Konsens darüber besteht, dass es die eine, alle Probleme meisternde Lösungsmethode aktuell noch nicht gibt bzw. diese noch nicht erkannt wurde, sollten wir – eine andere Möglichkeit bleibt uns wohl auch nicht – die enormen Herausforderungen als Chance begreifen. Eine rein manichäische, binäre Sichtweise wird uns hier sicherlich nicht helfen.
Die epochale Herausforderung liegt somit darin, ein allgemeines Bewusstsein für die vorhandene Situation zu schaffen und Impulse zu setzen. Die Zukunft ist seit Jahrtausenden eine Projektionsfläche für die Hoffnungen und Pläne der Menschen. Zu viele Ängste blockieren unsere Kreativität und verhindern damit, dass wir naheliegende Lösungen manchmal einfach nicht wahrnehmen. Der Philosoph Baruch de Spinoza stellte bereits vor rund 370 Jahren fest: „Folge ich meiner Vernunft, kann ich Impulse setzen für Handlungen und gewinne auf diese Weise so etwas wie Freiheit.“ So falsch lag er damals nicht damit. Zu seiner Zeit allerdings wurde er für seine Ansichten verfolgt. Wenngleich er damals nicht über den Klimawandel sprach, so gibt es doch Parallelen. Auch in neuerer Zeit hat sich die Debatte wieder stark polarisiert. Diskutiert wird jetzt beispielsweise, ob es wichtiger sei, wirtschaftliche Ziele zu fördern oder das Klima zu schützen. Wichtig erscheint mir in diesem Kontext deutlich zu machen, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit keinesfalls als Verzichtsaufforderung im Sinne von Ge- und Verboten aufgefasst werden sollten.
In einer Atmosphäre, in der diese Thematik hochgradig politisiert und außergewöhnlich emotional belegt ist, kommt es deshalb sehr darauf an, dafür Vertrauen und eine breite Akzeptanz aufzubauen. Und dafür brauchen wir weder einen radikalen Pessimismus noch einen undifferenzierten Alles-wird-gut-Optimismus. Besinnen wir uns also einfach auf das, was wir können. Ganz im Sinne von Immanuel Kant: „Sapere aude – habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Sie, sehr geehrte Frau Boetius, haben diesen Mut bewiesen. Sie waren und sind eine eindringliche Mahnerin für einen nachhaltigen Klimaschutz und in Ihrem Engagement absolut beispielgebend. Sie mischen sich ein, Sie werden gehört und Ihre Stimme hat eine große Glaubwürdigkeit. Ich freue mich sehr, Sie im Kreise der Lotträger begrüßen zu können.
Ich wüsste keinen Kompetenteren unter uns, der die Laudatio auf Sie. halten könnte: Lieber Herr Latif: Ihr Publikum!