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Grusswort des VDV-Präsidenten Dipl.-Ing. Wilfried Grunau anlässlich der Überreichung des Goldenen Lotes an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus Töpfer

Köln, 21.Oktober 2005

- Es gilt das gesprochene Wort -

(Anrede)

Wenn die Sprache auf die Preisträger des Goldenen Lotes kommt, ist eine häufige Frage: Was hat der denn mit Vermessung zu tun? Nun, die Jury geht nicht allein danach, ob es sich um einen "Landvermesser" im engeren Sinne handelt, sondern es geht eher darum, in welcher Weise der Kandidat zum Wohle und zum Ansehen der Ingenieure im weitesten Sinne beigetragen hat. Das kann eine wissenschaftliche Reputation sein, das kann eine berufspolitisch herausragende Leistung sein, aber z.B. auch eine bedeutende soziale Komponente enthalten. Wir sind da ganz offen, oder mit unseren Worten: Wir Vermessungsingenieure grenzen niemanden aus.

Bei dem diesjährigen Preisträger liegt die Verbindung zu unserem Beruf auf der Hand: Prof. Töpfer war seit Beginn seiner Karriere mit Planung bzw. Raumplanung befasst, war z.B. 1978/79 ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Raumforschung und Landesplanung an der Uni Hannover und hat im Laufe der Jahre durch seine weiteren vielfältigen Ämter eine ganz besondere Nähe zu unseren Aufgaben und Tätigkeitsfeldern entwickelt. Michael McKay wird im Laufe seiner Laudatio darauf sicherlich noch detaillierter eingehen.


Die verbindende Klammer aller Preisträger kann man mit einem Ausspruch von Oskar von Miller, dem Gründers des Deutschen Museums erklären: "Das Wohl der Menschheit fördern, ist der Sinn der Technik."

Als das Institut für Demoskopie in Allensbach 1966 in Deutschland erstmals die Frage beantworten ließ, ob die moderne Technik eher ein Segen oder ein Fluch für die Menschheit sei, hielten noch 78 Prozent Technik für eher segensreich.

In den 70er-Jahren änderte sich dieses Meinungsbild nahezu dramatisch. In der Folge symbolträchtiger technischer Katastrophen in Kernkraftwerken (Harrisburg), Chemieanlagen (Seveso) und mit Öltankern wurde die Gesellschaft unsicher: zehn Jahre später, 1976, ermittelte Allensbach nur noch 53 Prozent für "eher segensreich". Die projizierten Probleme mit den "Grenzen des Wachstums" verstärkten den zuerst ökologisch bedingten Pessimismus noch. Der Abschwung des Produktions- und Technikstandortes Deutschland und die eher diffusen Zukunftsperspektiven werden z.T. auch mit verfehlten Technikstrategien in Verbindung gebracht.

Im Hinblick darauf stehen heute deshalb die so genannten Schlüsseltechnologien, also z.B. Bio- und Medizintechnik oder auch die Informations- und Kommunikationstechnik, im Mittelpunkt.

Der erste "Schlüssel"- Technologe ging noch gebeugt, hatte eine fliehende Stirn und ist seit über zwei Millionen Jahren ausgestorben. Homo habilis war das erste Lebewesen, das Steinwerkzeuge herstellte. Über eine Million Jahre verging, bis der nächste "Technologieschub" den Menschen voranbrachte: Homo erectus verwendete Feuer zum Wärmen und Kochen und um Licht zu erzeugen.

Dieser flüchtige Blick ins Prähistorische lässt bereits erkennen, was derjenige meint, der "Schlüsseltechnologie" sagt. Er meint ein neues Verfahren, ein neues Konzept, mit dem bis dahin Unmögliches möglich wird. Eine solche Innovation verändert die Gesellschaft, aus der heraus sie geboren wird. Wer Hammer und Meißel hat, lebt und handelt anders als ohne diese Dinge. Er kann Materialien wie Stein und Holz bearbeiten, er kann erfolgreicher auf die Jagd gehen. Wer Feuer machen kann, kann auch nachts sehen, kann sein Fleisch braten, kann sich im Winter wärmen.

Aber so eindeutig ist es natürlich nicht. Denn wer einen Hammer hat, kann diesen auch gegen die Stirn eines Feindes schlagen, wer Feuer hat, kann auch die Hütte seines Nachbarn anzünden.

Und schon zeigt sich die Kehrseite, die immer mit im Spiel ist. Mit den Worten des amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers und Medienkritikers Neil Postman: "Sobald man einer Technik den Zugang zu einer Kultur gewährt, spielt sie alles aus, was sie bei sich hat."

Technologische Entwicklungen sind damit immer ein Sowohl-als-auch. Unsere alltägliche Erfahrung und das, was uns die Nachrichtenwelt mitteilt, bestätigen es: Ein Laser schweißt in der Hand eines Augenchirurgen Netzhäute und rettet das Augenlicht, in der Hand von Militärs lenkt dasselbe Licht treffsicher Bomben auf anvisierte Ziele.

Die Möglichkeit, Atomkerne zu spalten, kann elektrischen Strom für die Gesellschaft liefern, ist aber zugleich Voraussetzung für das "Manhattan Project", das zum Bau der ersten Atombombe führte, für den Reaktorunfall von Tschernobyl und für die ungelösten Probleme des radioaktiven Abfalls.

Und was sind die Konsequenzen? Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass jede Medaille zwei Seiten hat, dass Licht nicht ohne Schatten, dass das Einfache nicht ohne das Komplizierte zu haben ist.

Aber, und dieses "Aber" ist groß zu schreiben, daraus folgt längst kein Fatalismus. Forcieren wir das Bild der Medaille oder Münze mit ihren zwei Seiten. Auf welche Seite fällt sie, nachdem sie in die Luft geworfen wurde? Ohne weiteres Zutun ist das natürlich vorher nicht entscheidbar; jede der beiden Möglichkeiten ist gleich wahrscheinlich. Doch wer hat gesagt, dass wir nichts "zutun" dürfen?

Also manipulieren wir die Münze ein wenig. Präparieren wir sie so, dass die eine Seite etwas schwerer als die andere ist, vielleicht konstruieren wir die Münze aus zwei verschiedenen Materialien. Und schon ist die Zukunft nicht mehr so unvorhersagbar - wir gewinnen schlicht häufiger, wenn wir auf die leichtere Seite wetten.

Von Schlüsseltechnologien erhoffen wir uns, dass sie uns zur Schokoladenseite der Zukunft führen. Wir müssen den Energiehunger einer rasant wachsenden Menschheit stillen - und erhoffen uns die Lösung aus neuen Techniken der Energiewandlung.

Wir müssen eben diese Menschheit ernähren und medizinisch versorgen - und erhoffen uns positive Wendungen durch sinnvoll angewandte Gentechnik.

Wir müssen eine lebensfähige Umwelt ermöglichen - und erhoffen uns nachhaltige Praktiken durch neue und intelligente Umwelttechnologien.

Unter diesen Vorzeichen sind Schlüsseltechnologien global und langfristig zu verstehen. Aber sie werden natürlich auch viel profaner gedeutet: als die ökonomische Voraussetzung für Zukunftsmärkte.

Problemlösungen sind deshalb nicht nur nach technischen und ökonomischen Gesichtspunkten zu entwickeln, sondern sie müssen auch gesellschaftspolitisch akzeptabel sein - regional wie überregional, national wie international.

Die Wucht der Probleme ist aber so außerordentlich groß, dass es aller Intelligenz und Durchsetzungskraft bedarf, die Risiken zu eliminieren, die Chancen wahrzunehmen und dem Ganzen Schubkraft zu geben.

An dieser Stelle zitiere ich immer gerne den römischen Philosophen Seneca, der da einst postulierte: "Nicht weil es schwer ist, fangen wir es nicht an, sondern weil wir es nicht anfangen ist es schwer".

Also: Lassen Sie uns beginnen!