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GOLDENES LOT 2009 für Fritz Pleitgen

Der Journalist und ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen ist am 16. Oktober 2009 vom VDV mit dem GOLDENEN LOT 2009 geehrt worden. Pleitgen, der vielen Fernsehzuschauern u.a. auch durch den „ARD-Presseclub“ bekannt ist, war langjähriger ARD-Korrespondent, Chefredakteur, Hörfunkdirektor und zwölf Jahre Intendant des WDR. Allein achtzehn Jahre berichtete er für das Erste Deutsche Fernsehen und seine Dritten Programme aus Moskau, Ost-Berlin, Washington und New York. 1988 übernahm Fritz Pleitgen das Amt des Chefredakteurs in der WDR-Fernsehdirektion. Er moderierte das Fernsehmagazin „Weltspiegel“ und eine Reihe von ARD-Brennpunkten und Sondersendungen, vor allem über den Zusammenbruch der DDR, die deutsche Vereinigung und den Zerfall der Sowjetunion.

Für die ARD-Tagesthemen kommentierte er hauptsächlich außenpolitische Themen, aber auch innenpolitische Vorgänge in der Ära des Kanzlers Helmut Kohl. 1994 wählte ihn der WDR-Rundfunkrat zum Hörfunkdirektor. Pleitgen ordnete das Radio neu und richtete mit der Welle WDR 5 ein reines Wortprogramm ein. Radio Eins Live, eine Radiowelle für junge Hörerinnen und Hörer, geht auf seine Idee zurück. Nach dem vorzeitigen Ausscheiden von Friedrich Nowottny wurde Fritz Pleitgen 1995 mit überwältigender Mehrheit zum Intendanten gewählt. In den Jahren 2001 und 2002 war er zusätzlich als Vorsitzender der ARD tätig. Pleitgen ist ferner für die Europäische Rundfunkunion (EBU) aktiv, der er seit 2002 als Vizepräsident und seit 2006 als Präsident vorsteht. Zurzeit ist er zudem Vorsitzender der Geschäftsführung der RUHR.2010 GmbH (Kulturhauptstadt Europas 2010).

Für seine Aktivitäten wurde Fritz Pleitgen bereits vielfach ausgezeichnet, darunter mit der Karlsmedaille der europäischen Medien, dem Lessing-Ring (Kulturpreis der deutschen Freimaurer) sowie dem „Kulturgroschen“ des Deutschen Kulturrats.

Grenzen und oder versus der Vielfalt der Kulturen

Rede des VDV-Präsidenten anläßlich der Verleihung des GOLDENEN LOTES 2009 an Dr. h.c. Fritz Pleitgen

 

Es klingt möglicherweise etwas unglaubwürdig, gleichwohl sind auch wir Geodäten es mittlerweile gewohnt, die globalisierte Welt als eine grenzenlose zu denken.

 

Welche Funktion haben Grenzen normalerweise? Für uns Vermessungsingenieure ist das meist eine Fachfrage, auf die es eine einfache Antwort gibt: Grenzen strukturieren und Grenzen trennen - je nach Region, je nach politischer Situation mehr oder weniger detailliert- zwei Völker, zwei Länder, zwei Grundstücke, oft aber auch ein Volk, ein Land, bisweilen sogar ein Dorf oder ein Haus. Manchmal ist das absurd, manchmal erschreckend, oft tragisch, manchmal einfach sicherer - fast immer aber ist es auch faszinierend. Vielleicht liegt das daran, dass Grenzen Anfang und Ende zugleich darstellen.

 

Grenzen sind, auch wenn sie nicht immer die Trennschärfe politischer Demarkationslinien besitzen, aus historischen Gründen meist mehrdimensional. Sie teilen Sprachräume, sie teilen Religionsräume und Kulturen; und stabilisieren sie manchmal dadurch – aber eben nicht immer. Grenzen sollen Konflikte verhindern; gleichzeitig sind sie aber auch immer wieder Konfliktorte. Neben einer wechselseitigen Bedingtheit von Grenzöffnung und ‑schließung tragen Grenzen auch grundsätzlich die Ambivalenz von Eingrenzung einerseits und Ab- beziehungsweise Ausgrenzung andererseits in sich.

 

In den gegenwärtigen Zeitdiagnosen kann man neuerdings immer wieder lesen, dass die Welt zunehmend grenzenloser wird. Und tatsächlich lässt sich ein Abbau beziehungsweise eine vermehrte Öffnung von Grenzen beobachten. Die Mühelosigkeit, mit der vor allem Informationen und Nachrichten staatlich gesetzte Grenzen überwinden, untergräbt zudem zunehmend die Autorität dieser Demarkationslinien. Der Prozess der Globalisierung wird deshalb auch häufig mit einem Wegfall der Grenzen gleichgesetzt.

 

Grenzen erscheinen fast jedem Menschen stets als unerwünschte Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen, damit beispielsweise Geld- und Warenströme ungehindert fließen können.

 

Der Problemhorizont moderner Gesellschaften wird unter anderem aber auch durch die Frage nach den Grenzen sozialer und kultureller Integration vorstrukturiert. Und hier kommt Fritz Pleitgen ins Spiel:

 

Sie, sehr geehrter Herr Pleitgen sind ein engagierter Kämpfer für die kulturelle Vielfalt. Sie setzen auf die Fähigkeit des bifokalen Denkens, die den Menschen die Chance einräumt, eine Balance zwischen eigener kultureller Zugehörigkeit und dem Sich-Öffnen-Können für die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen zu finden, ohne die eigene kulturelle Identität aufgeben und die bestehende Kulturvielfalt leugnen zu müssen. Grenzen im Sinne von „aus- oder abgrenzen“ oder auch „abschotten“ sind hier eher hinderlich. Viel wichtiger hingegen ist der Dialog. Der Philosoph Karl Jaspers sagte dazu: „Das wir miteinander reden können, macht uns zu Menschen.“

 

Kultur prägt einen eigenständigen – zwar nicht grenzenlosen, aber zumeist durch fließende Grenzen gekennzeichneten – Freiheitsraum aus. Dieser Raum ist essentiell für unsere demokratische Gesellschaft, die gleichermaßen auf Tradition und Fortschritt, auf staatlicher Förderung und Selbstentwicklung beruht. Wir erinnern uns: Die deutsche Nation hat sich bereits vor der ersten demokratischen Verfassung und der territorial-staatlichen Einigung als Kultur- und Bildungsnation verstanden.

 

Kulturelle Vielfalt aber versteht und entfaltet sich nicht von selbst. Sie bedarf der Pflege und Fortentwicklung. Nun wäre es sicherlich weltfremd, die Kultur losgelöst von den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zu betrachten. Die Globalisierung, die Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union, die wissenschaftlich-technologischen Innovationen und der gesellschaftliche Wandel erfordern mehr denn je ein Umdenken jedes einzelnen von uns.

Die Fragestellungen dazu könnten beispielsweise wie folgt lauten: Gibt es Grundnormen menschlichen Zusammenlebens unabhängig von den jeweiligen kulturellen Erfahrungszusammenhängen und können wir einander über kulturelle Grenzen hinweg begegnen oder scheitert unser Verstehen stets an kulturellen Grenzen?

 

Diese Dialektik zwischen kultureller lokaler eigener Existenz und der globalen Kulturvielfalt ist notwendig, wenn das Individuum seine kulturelle Identität behalten und Verantwortlichkeit im Dialog mit fremden Kulturen lernen soll, ohne der Versuchung der Euro- oder Ethnozentrik zu erliegen.

 

Denn nur aus der Erkenntnis heraus, dass

  • jedes Individuum letztendlich Produkt einer Kultur ist,
  • die kulturelle Identität die Basis eines jeden Lebens in der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit darstellt,
  • jede Kultur nur ein Teilausschnitt der Welt repräsentiert und sämtliche Kulturen zusammengesehen die ganze Welt bedeuten,

ist es möglich, sich der Kommunikation und den Interaktionen zwischen sich selbst und den Kulturen in friedvoller Absicht und Weise zu öffnen, um sich im Akt der Balance als verantwortliches Mitglied dieser Welt zu fühlen.

 

Mit seiner höchsten Auszeichnung würdigt der VDV heute Abend insbesondere das konstante und entschiedene Eintreten Pleitgens für kulturelle Vielfalt, Toleranz, Humanität und Integration in Europa. Sein herausragendes nationales wie auch internationales kultur- und medienpolitisches Engagement ist außergewöhnlich und beispielhaft gleichermaßen.

 

Sehr geehrter Herr Pleitgen, der VDV ist sehr stolz darauf, Ihnen heute seine höchste Ehrung zu überreichen: Das Goldene Lot 2009.