Premiere: Erstmals haben zwei VDV-Bezirke aus zwei Bundesländern eine gemeinsame Veranstaltung durchgeführt. Die Besichtigung der Fa. Wirtgen GmbH in Windhagen hatte Manfred Frickel vom VDV-Bezirk Koblenz vorbereitet und 25 Kolleginnen und Kollegen aus der Region von Köln über Bonn bis Boppard waren dabei.
Die Werksbesichtigung startete mit einer kurzen Vorstellung des Familienunternehmens. Mit 1.500 Mitarbeitern produziert die Wirtgen GmbH in vier Produktsparten über 60 Maschinentypen für den Bau und die Instandsetzung von Straßen sowie Sondermaschinen für den Übertagebau (Surface Mining) und die Trassierung von Eisenbahnlinien oder Straßen.
Anschließend begann der Rundgang im Wareneingang, in dem täglich über 1.300 Artikelpositionen mit einem Gesamtgewicht von über 200 t eintreffen. Dann ging es durch verschiedene Produktionsbereiche (das gesamte Werksgelände erstreckt sich über 2,2 km), in denen zunächst die Einzelkomponenten für die unterschiedlichsten Maschinen vorgefertigt und zu Baugruppen montiert werden, bevor sie in den Montagewerken final verbaut werden. Die Komponenten wurden so von Halle zu Halle „gewichtiger“.
Laser, die die Stahlplatten millimetergenau zerschneiden, Schweißroboter und Pulverbeschichtungs- bzw. Lackieranlagen, alles gab es im Einsatz zu sehen. Rund 100.000 Einzelteile werden in der Vorfertigung pro Jahr produziert, sämtliche 11.000 Varianten und Sonderbauteile werden im Haus gefertigt. Die hohe Fertigungstiefe, gepaart mit optimalem internem Materialfluss, gewährleistet die schnelle und flexible Vorfertigung aller Varianten. Die Kunden profitieren so von gleichbleibender Qualität sowie der schnellen Lieferfähigkeit von Ersatzteilen.
Nach 2,5 Stunden waren wir von den Dimensionen des Wirtgen Stammwerks, von dem wir aus zeitlichen Gründen nur einen Teil sehen konnten, mit seinen Produktionsanlagen und den im Außenbereich aufgereihten Baumaschinen sehr beeindruckt. Die Maschinenvorführung eines Wirtgen Recyclers und Bodenstabilisierers gab der Werksführung einen überzeugenden Abschluss.Durch die vielseitigen fachlichen Erklärungen über die Fertigung, Produktion und die Wirtgen Firmenphilosophie blieben (fast) keine Fragen offen. Manfred Frickel bedankte sich am Ende mit einem „Wir kommen wieder, es gibt ja noch so viel zu sehen!“
„Vermessung und Maschinenbau, wie geht das?“ Dipl.-Ing. Matthias Fritz referierte zu diesem Thema nach der Werksführung. Als Highlight demonstrierte er, wie ein Wirtgen Gleitschalungsfertiger vom Typ SP 15i eine Verkehrsinsel 3D-gesteuert ohne Leitdraht abfährt.
Wie uns der Betonfertiger als selbstständig fahrende Maschine verblüfft hat, wird nachfolgend von Tilo Groß, VDV-Bezirk Rheinland-Pfalz Nord, beschrieben.
Text: Rolf Bull, VDV-Bezirk Bonn
„Vermessung und Maschinenbau, wie geht das?“
Diese Frage wird dem Referenten, Dipl.-Ing. Matthias Fritz, oft gestellt und auch bei der Anmeldung zu dieser Besichtigung tauchte sie aus VDV-Kreisen mehrfach auf.
Dass diese beiden Themen gut zusammengehen, erläuterte Matthias Fritz auf eindrucksvolle Weise. Als Geodät mit einschlägiger Erfahrung aus dem Bereich Maschinensteuerung ist er vor einigen Jahren bei der Wirtgen GmbH mit dem Ziel angetretenen, geodätisches Know-how und Equipment zur Ablösung des bis dato noch gebräuchlichen Leitdrahtes einzusetzen, der insbesondere zur Führung von Asphalt- und Betonfertigern langjähriger Baustellenstandard war.
Nachteil des herkömmlichen Verfahrens: Die vorbereitende Installation (und spätere Demontage) eines Leitdrahtes entlang der zu fertigenden Strecke ist extrem zeitaufwändig. Zudem ist der Leitdraht stets durch Bauverkehr gefährdet und stellt eine nicht zu unterschätzende Stolperfalle dar. Es sollte also ein praxistauglicher „virtueller“ Leitdraht geschaffen werden!
Dass an dieses Projektziel noch vielfältige andere Anforderungen gestellt waren, verschwieg Herr Fritz dabei nicht:
Die einzusetzende Vermessungstechnik sollte so gehalten sein, dass sie möglichst durch eingewiesene Maschinenführer oder Poliere fehlerfrei zu bedienen ist.
Die Lösung heißt Wirtgen AutoPilot Field Rover und besteht hinsichtlich der Lagesteuerung
Zur Ansteuerung der Höhenkomponenten wird je nach Einbausituation zudem ein Rotationslaser oder ein Ultraschallsensor eingesetzt.
Das dahinter stehende Grundprinzip ist dabei ebenso einfach wie genial. Mit dem Field Rover (eine Wirtgen Entwicklung) werden im lokalen System mittels 1-Frequenz-Empfängers die Linien- und Zwangspunkte aufgemessen. Sie entsprechen quasi der örtlichen Linienführung, auf der bis dato der Leitdraht gesetzt wurde. Aus den Aufnahmepunkten berechnet die eigens entwickelte Software eine idealisierte Linie und berücksichtigt dabei auch Geometrien wie Geraden oder Radien – das Resultat: der virtuelle Leitdraht! Im Fertigungsprozess selbst wird die Maschine mit der gleichen Basisstation an dieser vorberechneten Linie entlang gesteuert.
Dass das Ganze funktioniert, demonstrierte Matthias Fritz der Gruppe im Anschluss an den Vortrag auf dem Firmengelände. Eine zuvor durch Farbmarkierungen aufgesprühte Verkehrsinsel wurde im lokalen GPS-System aufgenommen, die Ideallinie automatisch berechnet und schon fuhr der Fertiger diese Linienführung vollkommen selbstständig GNSS-gesteuert ab.
Wir konnten beobachten, wie die drei Fahrketten in ihrer Zusammenarbeit den ca. 10 t schweren Gleitschalungsfertiger präzise einen Radius von ca. 1 m fahren ließen, so dass der Fertiger im Baustelleneinsatz den Betonbordstein einer Verkehrsinsel geformt hätte. Auf dem abnehmbaren Display des Fertigers war die Linienführung exakt zu verfolgen. Eine große Zahl von Sensoren ist dazu in der Maschine verbaut, die die Steuerung in Lage und Höhe vornehmen. Hier liegt der große Vorteil der Wirtgen Software, sie hat alle diese Sensoren „im Griff“.
Zurzeit ist das selbstfahrende Auto in der Presse ständig präsent, hier konnten wir eine tonnenschwere selbstfahrende Baumaschine „bestaunen“!
Der Besuch bei Wirtgen und das von Matthias Fritz und seinem Team entwickelte System belegten eindrucksvoll, dass Geodäsie sowie Maschinensteuerung und -bau zusammenpassen. Er verdeutlichte aber auch, dass der Platz der Ingenieure zunehmend mehr hinter den Kulissen im Entwicklungsbereich und weniger auf der Baustelle selbst ist. Das vorgestellte System wird weltweit durch eingewiesene Poliere und Maschinenführer bedient, sodass es mit dieser Technik - zumindest für diesen Teilschritt des Straßenbaus - keines Geodäten vor Ort mehr bedarf!
Zur gemütlichen „Nachbesprechung“ traf sich die Gruppe im Kasbachtal in Steffens Brauhaus, um den sehr gelungen Nachmittag ausklingen zu lassen.
Text: Tilo Groß, VDV-Bezirk Rheinland-Pfalz Nord
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