Der Bezirksvorstand hatte die Mitglieder und Gäste zu einer Führung durch die Sammlung historischer Vermessungsinstrumente der Justus-Liebig-Universität Gießen für den 30. Oktober 2023 eingeladen. Organisiert wurde die Veranstaltung durch den Deutschen Verein für Vermessungswesen (DVW Hessen e.V.) – Bezirksgruppe Marburg-Gießen. Frau Dr. Alissa Theiß führte, unterstützt von den „Ruheständlern“ der Hessischen Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation Ernst Döpfer und Bernhard Heckmann, durch die Sammlung.
Die Universitätsstadt Gießen in Mittelhessen ist nicht als ein Ort für geodätische Forschungen bekannt. Es gibt dort zwar die 1607 gegründete Ludwigs-Universität (nach 1945 in Justus-Liebig-Universität [JLU] umbenannt), ein Stadtvermessungsamt, bis 2005 ein Katasteramt und bis 1996 eine Flurbereinigungsbehörde, die beide im heutigen Amt für Bodenmanagement Marburg aufgingen. Überregional sehr bekannt ist das Gießener Mathematikum als populär-wissenschaftliche Einrichtung. Aber den Meisten der Berufskolleginnen und -kollegen ist nicht bekannt, dass es in Gießen einmal ein astronomisches Observatorium und ein Geodätisches Institut gegeben hat. Und dass sich hier zudem eine umfangreiche Sammlung historischer geodätischer Instrumente befindet, haben die Wenigsten vermutet. Die Sammlung befindet sich in der Hermann-Hoffmann-Akademie in der Senckenbergstraße 17-21, in amtlichen Karten als Botanisches Institut der JLU Gießen dargestellt.
Die alte Sternwarte bzw. das astronomische Observatorium war ein Treppenturm am 1607 errichteten und 1611 eingeweihten großen Kollegiengebäude am Brandplatz am nordwestlichen Rand des Botanischen Gartens. Joachim Jungius hat dort schon 1612/1613 Sonnenflecken mit einem Fernrohr beobachtet und dokumentiert. Das deutet darauf hin, dass diese Sternwarte die älteste Hessens war. Von 1790 bis 1837 leitete Prof. Gottlieb Schmidt die Sternwarte, bei dem Christian Leonhard Philipp Eckhardt (der als „Vater der hessischen Geodäsie bezeichnet wird) von 1802 bis 1804 studiert hat. 1811 wurde die Sternwarte mit einem Fraunhofer’schen Fernrohr ausgestattet. Außerdem wurde etwa 1,9 km südlicher eine Mire im selben Meridian festgelegt. Eckhardt konnte von 1810 bis 1812 die Sternwarte einschließlich der Mire im Rahmen der Triangulation des Herzogtums Westfalen geodätisch einmessen. 1838 wurden Treppenturm und Hauptgebäude abgebrochen und 1839/1840 an gleicher Stellte ein neues Kollegienhaus errichtet. Vermutlich wurde die Sternwarte an eine andere Stelle verlegt und bis 1862 unter der Leitung von Hermann Umpfenbach weiterbetrieben. Weitere Informationen sind hierzu nicht vorhanden. Ab 1865 wurde die Sternwarte nicht mehr als Posten im Personalbestand der Universität aufgeführt.
Ein geodätisches Institut wurde zwischen 1870 und 1880 an der Universität Gießen gegründet. Dieses bestand bis 1944 und war im Nachfolgebau des alten Kollegiengebäudes am Brandplatz untergebracht. Direktor des Geodätischen Kabinetts in dieser Zeit war Karl Zöppitz (1838-1885), sein Nachfolger, Karl Fromme (1852-1945) wurde 1880 Institutsdirektor und unterrichtete bis 1936. Nach ihm folgte nur noch ein Direktor, der Geograf Fritz Klute (1885-1952). Weltkriegsbomben zerstörten das Gebäude im Dezember 1944.
Nach diesen „virtuellen“ Orten der Geodäsie ist aber heute noch etwas Reales erhalten geblieben und zwar eine hochkarätige Sammlung von etwa 100 historischen geodätischen Instrumenten. Zurzeit ist die Sammlung noch nicht 100% wissenschaftlich erschlossen, trotzdem sehr sehenswert und kann als Ziel einer interessanten Fachveranstaltung sehr empfohlen werden. Eines der ältesten Exponate – eine Feldbussole – stammt von Hekor Rößler aus Darmstadt, einem Pionier des geodätischen Instrumentenbaus im Großherzogtum Hessen. Er selbst hat von 1804 bis 1806 als „Universitäts-Mechanicus“ in Gießen gewirkt. Dazu kommen historische Theodolite, Nivelliere, Kippregeln, ein Heliotrop und weitere Gerätschaften, die zum Teil im 19. Jhd. von hessischen Firmen hergestellt wurden. Detaillierte Informationen zu den einzelnen Instrumenten können Sie dem unten angeführten DVW-Heft entnehmen.
Die Veranstaltung klang mit einem gemütlichen Beisammensein und interessanten Fachgesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen des DVW in einem Café am Gießener Marktplatz aus.
Der ausdrückliche Dank des VDV-Bezirksvorstandes gilt den Herren Dipl.-Ing. (FH) Ernst Döpfer und Dipl.-Ing. Bernhard Heckmann sowie Frau Dr. Alissa Theiß für den ausführlichen Bericht „Geodätische Spuren in Gießen“ im Heft 1/2023 des DVW Hessen-Thüringen und für die interessante Führung durch die Sammlung.
Horst Gläsmann