Interessierte Mitglieder unserer VDV- Bezirksgruppe Südwestsachsen sowie Gäste trafen sich am Freitagnachmittag, dem 17. Juni 2016, mit der Gästeführerin Frau Karin Meisel vom Verein der Gästeführer Chemnitz an der Brücke über die Chemnitz am Falkeplatz. Zu Fuß sollte dem Verlauf des Flusses bis zur Schönherrfabrik gefolgt werden. Das Anliegen war, Gebäude und Anlagen kennenzulernen, die aus der für Chemnitz bedeutenden Zeit der Industrialisierung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert erhalten geblieben sind.
Dabei hatte sogar der Wettergott ein Einsehen mit uns zwar wettererprobten Vermessungs-Außendienstlern. Er schaltete pünktlich zu Beginn der Führung von Dauerregen auf Wolken-Sonne-Mix um, was die Tour sehr viel angenehmer machte.
Wir müssen zugeben, wir haben es nicht geschafft, die Tour an der Schönherrfabrik zu beenden. Das lag nicht an der Streckenlänge von zirka zweieinhalb Kilometern. Einerseits gab es eine Vielzahl von Objekten entlang der Route zu sehen und andererseits versorgte uns Frau Meisel nicht nur mit Zahlen und Fakten. Sie wusste auch spannende und kurzweilige Details über die Gebäude und die Menschen damals zu erzählen. Vieles davon war selbst den Chemnitzern noch unbekannt. So mussten wir die Tour im Hinblick auf unsere danach geplante Wahlveranstaltung nach zwei Stunden leider abbrechen, ohne am geplanten Ziel angekommen zu sein.
Frau Meisel zeigte uns erhaltene Zeitzeugen aus der Zeit der Industrialisierung, einer Epoche, die das Aussehen und die Größe der Stadt stark veränderte. Die Stadt war damals ein Ausgangspunkt für die Industrialisierung in Deutschland. Richard Hartmann errichtete eine große Fabrik, in der er Dampfmaschinen und Lokomotiven bauen ließ. Louis Ferdinand Schönherr revolutionierte die Textilindustrie, indem er gemeinsam mit seinem Bruder den mechanischen Tuchwebstuhl erfand und in seiner Fabrik herstellte. Wir konnten schöne Beispiele dafür entdecken, wie diese historischen Produktionsstätten an die heutigen Bedürfnisse angepasst und für Wohn- und Arbeitszwecke genutzt werden.
Die Tour begann an der Stelle, an der sich das Gesicht der Stadt in den letzten Jahren mit am Eindrucksvollsten verändert hat. Am Falkeplatz wurde seit 2009 der Chemnitzfluss von seiner 100 Jahre alten Betonabdeckung befreit. Diese war zu Zeiten der Industrialisierung erfolgt, um Platz für den wachsenden Verkehr zu schaffen. Der jetzt offengelegte Flussverlauf wurde mit einem mittlerweile wieder zum Verweilen einladenden Umfeld versehen.
Frau Meisel hatte uns Bilder alter Stadtansichten mitgebracht. Ohne ihre Erläuterungen hätten wir nur sehr wenige Gebäude mit dem heutigen Aussehen der Stadt in Verbindung bringen können. Das imposante Gebäude, in dem sich heute das Museum Gunzenhauser befindet, war eines der wenigen Bauwerke, dass man auf den historischen Aufnahmen wiedererkennen konnte.
Am Ufer der Chemnitz, auf der anderen Seite des Falkeplatzes, sahen wir die Reste der Kellerfenster der Häuser, die sich dicht an dicht am Fluss gedrängt haben müssen. Sie waren von zahlreichen Handwerkern bevölkert, die die im Zuge der Industrialisierung aufstrebende Stadt benötigte.
Weiter ging es am Fuß des Kaßberges vorbei am Pfortensteg, den Gewölbegängen unter dem Kaßberg, die wir bei einer vorangegangenen Tour schon erkundet hatten zur Villa des Fabrikanten Schwalbe. Dieser hat an vielen Stellen in der Stadt seine Spuren hinterlassen.
Zahlreiche Brücken, die damals in den von der Stadtmauer umgebenen Bereich führten, konnten wir noch sehen. Die letzte erhaltene Produktionshalle von Richard Hartmann wartet leider noch auf eine Rekonstruktion und Nachnutzung und wird hoffentlich erhalten bleiben.
Wenige Schritte weiter sahen wir ein wunderbares Beispiel für die gelungene Verbindung von Handel, Gastronomie und Wohnen in einem ehemaligen Fabrikgebäude, die Janssenfabrik, in der früher Strümpfe hergestellt wurden.
Im weiteren Verlauf der Chemnitz hinter dem Chemnitzer Stadtbad erhebt sich das erst vor kurzem fertig sanierte Fabrikgebäude der Färberei Theodor Haase. Entstanden ist dort eine optisch ungewöhnliche, aber auf jeden Fall sehenswerte Verbindung von Erhalt der Altbausubstanz mit Wasserturm und Schornstein und einem futuristischen Neubau. Auch die ehemalige Fabrikantenvilla auf dem Gelände wurde sehr schön restauriert.
Die letzte Station auf unserer Route war das Neumühlenwehr, ein stillgelegtes Walzenwehr, das man leider nicht mehr in Aktion erleben, aber sehr gut anschauen kann. Frau Meisel machte uns auch immer wieder auf die im Flussverlauf eingebauten Fischtreppen aufmerksam. Aufgrund der verbesserten Wasserqualität gibt es wieder Fische im Fluss. Diesen sollen die Fischtreppen die Ausbreitung des Lebensraumes ermöglichen.
Beobachten konnten wir die Flussbewohner leider nicht, was dem recht hohen Wasserstand und der ordentlichen Fließgeschwindigkeit am Tag unserer Tour geschuldet war. Aber wie anfangs erwähnt, waren wir wenigstens trocken geblieben.
Aus eigener Erfahrung ist mir bekannt, dass auch der Rest der Tour noch sehr interessante und beeindruckende Ansichten parat gehalten hätte. Ebenso verdient das Ziel, die ehemalige Fabrik des Webstuhlfabrikanten Louis Ferdinand Schönherr, einen eigenen Rundgang.
Es war sehr beeindruckend, Gebäude, an denen man oft achtlos vorbeigeht, unter einem anderen Blickwinkel zu sehen. Beschäftigt man sich z. B. im Rahmen dieser Führung mit der Geschichte, bekommt man Achtung vor den Leistungen unserer Vorfahren, von denen wir heute noch profitieren. Der Nachmittag an der Chemnitz war eine gelungene Einstimmung auf die geplante Landesmitgliederversammlung mit Fachtagung am 5.November 2016 in Chemnitz, die ebenfalls die reiche Industriegeschichte und -kultur der Stadt Chemnitz zum Thema haben wird.