Der Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein hatte seine Mitglieder zur Besichtigung der Schleuse in Brunsbüttel am 17.09.2022 eingeladen. Im Vordergrund stand für uns, das größte europäische Wasserbauprojekt, der Bau der 5. Schleusenkammer zu sehen. Durch die Buchung bei der VHS-Brunsbüttel war bekannt, dass wir die Schleusentore und die Baustelle auf der Schleuseninsel aus sicherheitstechnischen Gründen nicht betreten dürfen. Für den Nachmittag war ein Spaziergang durch das Beamtenviertel geplant.
Bei herbstlich feuchtem Wetter hatten so einige Mitglieder den Weg nach Brunsbüttel mit der Devise „Alle Welt kennt Brunsbüttel, wir fahren hin“ auf sich genommen.
Am Treffpunkt „Kanalmuseum ATRIUM“ wurden wir schon von der Gästeführerin erwartet. Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte von Brunsbüttel ging es an die Schleuse.
Das ursprüngliche Brunsbüttel lag direkt an der Elbe und wurde im 17. Jahrhundert aufgrund von häufigen Überschwemmungen und Piraterie ins Landesinnere verlegt. Mit der Planung des Nord-Ostsee-Kanals mit den Schleusen wurde Brunsbüttel-Koog, dass für uns heutige Brunsbüttel gegründet. Der Name Koog besagt, dass das Land dem Meer abgewonnen wurde, also Marschland ist. Die Ansiedlung von Industrie und Arbeitskräften zog große Veränderungen nach sich, sodass mit der Gebietsreform in den siebziger Jahren aus Brunsbüttel-Koog und anderen anliegenden Gemeinden das heutige Brunsbüttel wurde. Das historische Alt-Brunsbüttel mit seiner Jakobuskirche liegt etwa 3 km westlich von der Schleuse, am Rand von Brunsbüttel.
Nach wenigen Schritten hatten wir den Schleusenkanal erreicht und konnten einen regen Schiffsbetrieb beobachten. Ob nun Schüttgutfrachter, Containerschiffe oder Sportboote in der Schleuse warteten, oder gerade anlegten. Beim Gang entlang der Schleusenwand bekamen wir einen Eindruck von der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt.
Aufgrund der Wetterlage ging es zügig weiter zur überdachten Aussichtsplattform.
Dort wurde uns anhand von Zeichnungen/Bildern/Fotos die Planung und Erstellung des Kaiser-Wilhelms-Kanals mit seinen Schleusen zu damaligen Zeiten vor Augen geführt.
Der Vorgänger vom NOK ist der Eiderkanal, welcher vom dänischen König Christian VII. im 18.Jhd. erbaut wurde. Er beginnt in Kiel und mündet bei Rendsburg in die Eider. Diese mündet bei Tönning in die Nordsee. Sie war schon zu Wikingerzeiten eine stark frequentierte Handelsstraße.
Otto von Bismarck ließ 1864 während des Deutsch-Dänischen Krieges die Möglichkeit der Durchquerung Holsteins von Kriegs- Handels- und Dampfschiffe prüfen. Sie sollten von der Ostsee in die Nordsee fahren können, ohne dänische Kanonen passieren zu müssen.
1887 erfolgte die Grundsteinlegung von Kaiser Wilhelm I. für den Bau des „Kaiser-Wilhelm-Kanal“ beginnend in Kiel Holtenau. Gleichzeitig wurde mit dem Bau der kleinen Schleusen in Brunsbüttel begonnen. Der Kanal hatte eine Breite von 67m und eine Tiefe von 9m. Nach 8 Jahren Bauzeit wurde 1895 der Kanal und die kleinen Schleusen von Kaiser Wilhelm II. feierlich eingeweiht. Die kleinen Doppelschleusen haben eine Länge von 125m, eine Breite von 22m und eine Tiefe von 10,2m. Die Schleusungszeit beträgt heute ca. 30 min.
Von 1907 bis 1914 wurde der Kanal das erste Mal ausgebaut da die Schiffe der Kaiserlichen Marine aufgrund ihrer Größe den Kanal nicht passieren konnten. Er wurde auf 102m verbreitert und 11m vertieft. Im gleichen Zuge wurden die beiden neuen „Großen Schleusen“ mit einer Länge von 310 m x 42 m x 14 m gebaut. Die Schleusungszeit beträgt ca. 45 min.
Da die Schleusenkammern nach 100 Jahren zunehmend häufiger reparaturbedürftig waren und der Kanal nicht für mehrere Jahre aufgrund von Sanierungsarbeiten geschlossen werden sollte, wurde 2010 beschlossen eine 5. Schleusenkammer als Bypass zu bauen.
In der Regenpause ging es zum Schleusen-Info-Zentrum.
Anhand einer PPP wurden uns die Abläufe im Schiffsverkehr sowie technische Details der Baumaßnahmen, deren aktueller Stand, sowie weitere Planungen sehr anschaulich und leicht verständlich erläutert.
Der Bau der 5. Schleusenkammer ist mit Vergabe der einzelnen Lose 2014 gestartet. Sie entsteht auf der Schleuseninsel zwischen den kleinen und großen Schleusen. Sie soll eine Länge von 330 m, eine Breite von 42 m und eine Tiefe von 14 m erhalten. Mit einem Auftragsvolumen von 1,2 Milliarden Euro ist diese Schleuse die größte Wasserbaustelle in Europa. Alle Materialien und Arbeiter müssen mit der dafür eingerichteten Fähre auf die Insel transportiert werden. Die geplante Fertigstellung 2018 wurde mehrfach verschoben. Die Freigabe ist nun für 2026 geplant.
Der Kanal hat eine Gesamtlänge von 98,26 km und Breiten zwischen 90 - 162 m. Die Wassertiefe beträgt 11 m. Die Brücken haben eine Höhe über der Wasserlinie von 42 m.
1948 wurde der Kaiser-Wilhelm-Kanal auf Wunsch der Alliierten auf Nord-Ostsee-Kanal umbenannt. Im internationales Schiffsverkehr wird der Nord-Ostsee-Kanal „Kiel Canal“ genannt. Bei der Fahrt durch den NOK sparen die Schiffe eine Strecke von rund 460 km (250 sm) ums Skagerrak herum. Der Kanal hat auf der gesamten Länge denselben Wasserstand. An beiden Enden wird er durch Schleusen, welche den wechselnden Wasserstand ausgleichen abgeschlossen.
Nach der hervorragenden Präsentation und der Flut an Informationen war eine Pause und Stärkung notwendig. Bei dann strahlendem Sonnenschein und einem Spaziergang auf dem Deich bis Torhaus waren die Teilnehmer einfach nur begeistert von Brunsbüttel. Direkt an der Kanalpromenade gelegen konnten wir dann beim Essen dem regen Schiffsverkehr beobachten.
Nach dem vorzüglichen Mahl und netten Gesprächen waren wir gestärkt für die Führung:
„Der Kaiser, die Schleusen und das Beamtenviertel“.
Unsere Gästeführerin stand schon an der Promenade und führte uns nun in das nur wenige Meter entfernte kaiserliche Beamtenviertel.
Kaiser Wilhelm II. ließ zwischen den Jahren 1907 und 1915 für seine Kanalbeamten und Lotsen in Brunsbüttel-Koog eine einzigartige Siedlung nach dem Vorbild englischer Gartenstädte bauen. Diese hatte er bei seiner Großmutter „Königin Victoria von Großbritannien und Irland“ in London gesehen.
Diese ist heute fast vollständig erhalten und saniert. Es gibt sieben unterschiedliche Gebäudetypen mit unterschiedlichen Fassaden und Dachformen. Alle Grundstücke haben eine Größe von etwa 820 qm und ein zusätzliches Gebäude für ein Schwein und Hühner. In der damaligen Zeit galt noch Selbstversorgung. Im Garten wurde Gemüse angebaut und alle hatte ihre Obstbäume. Die Gartenplanung war vorgegeben damit das einheitliche Bild entstehen konnte.
Die Häuser wurden jeweils den Berufsgruppen, ob nun Arbeiter oder Beamter zugeordnet und standen unterschiedlich nebeneinander, sodass eine soziale Mischung entstehen konnte. Für die damalige Zeit ungewöhnlich. Der stellvertretene Kanalinspektor hatte eine nicht standardisierte Villa mit den höchsten Ausstattungen der Siedlung, zur damaliger Zeit. Die Gartenstadt hat eine eigene Kirche, die Pauluskirche mit Gemeindehaus, und eine eigene Schule.
Dieses Beamtenviertel ist heute ein begehrtes Wohngebiet mit einem ganz besonderen Flair, welcher durch die Sanierung der letzten Jahre nochmals unterstrichen wurde.
Ein uriger Straßenname und ein alter Grenzstein sind uns als Vermesser gleich ins Auge gefallen.
Wurt – Warft – Kanalaushub
Leute – Menschen die über den Hügel laufen
Tweute – Twiete – Straße
Die Straße mit dem Namen „Wurtleuteweute“ wird in der Umgangssprache als Kuddelmuddelstraße bezeichnet da es leichter zu behalten ist.
Nach diesem sehr interessanten Spaziergang durch die Baukunst und Lebensweise aus Kaiser Wilhelms Zeiten haben wir den Ausflug nach Brunsbüttel am Ausgangspunkt, dem ATRIUM Museum ausklingen lassen. Das schlechte Wetter an diesem Tag konnte uns die gute Laune und das Gelingen dieses Besuches in Brunsbüttel nicht verderben.