Auf der A45 müssen 50! marode Brücken abgerissen und neu gebaut werden.
Im Rahmen einer Exkursion zur Lennetalbrücke bei Hagen, konnte sich der VDV Bezirk Essen über die Hintergründe und das in diesem Fall besonders aufwändige Baukonzept informieren.
Vorgeschichte und das "vierte Potenz Gesetz"
Die A45 von Dortmund Richtung Kassel, also die Sauerlandlinie, oder auch schönste Autobahn Deutschlands, enthält eine Vielzahl schlanker Brückenbauwerke, die in den 60-iger Jahren nach dem damaligen Stand der Technik (Spannbeton mit computer-optimierter, kostensparender Statik) gebaut wurden. Insbesondere durch die unvorhersehbar starke Zunahme des LKW Verkehrs, aber wohl auch durch Baumängel, verstärkt durch aggressive Tausalze, weisen zahlreiche Brücken bereits nach weniger als 50 Jahren so starke Schäden auf, dass die Sicherheits-Reserven für die hohen Belastungen nicht mehr ausreichend sind.
Bei einer derartig katastrophalen Entwicklung muss man nach den Gründen fragen. Sucht man nach Antworten, dann stößt man auch auf das "vierte Potenz Gesetz". Es wurde in Amerika entwickelt und dient dem Vergleich der Schadenspotenziale unterschiedlich schwerer Fahrzeuge. Ein 4-achsiger 30t LKW mit einer Achslast von 7,5t hat demnach das gleiche Schadenspotenzial wie ca. 100.000 zweiachsige PKW mit einer Achslast von 500kg. Rechnet man das in Lebenserwartung um, dann wären die Brücken bei einer reinen PKW Nutzung praktisch unsterblich.
Koppelfugen "Gerbergelenke", Tausalze, Spannbeton, Hüllrohre das sind Begriffe, die auf Schwachstellen oder Risikofaktoren hinweisen, hier aber nicht näher erläutert werden sollen. Bei Bedarf findet man die Antworten bei Google oder Bing.
Da einerseits eine Sanierung der Bauwerke technisch und wirtschaftlich mehr als problematisch wäre, und andererseits der Bedarf für einen 6-streifigen Ausbau unbestritten ist, untersucht Straßen NRW die Brücken mit dem Ziel, Maßnahmen zur Verlängerung der Lebensdauer zu ergreifen. ( Ablastung durch Herabsetzen der zulässigen Geschwindigkeit, Überholverbot für LKW oder provisorische Verstärkungen der Konstruktion). Die gewonnene Nutzungszeit soll es ermöglichen, unter Aufrechterhaltung des Verkehrs, den Neubau der 50 maroden Brücken auf der A45 zwischen Dortmund und Frankfurt zu verwirklichen.
Details zur Planung und zur Informationspolitik des AG
Mit der 980m langen Lennetalbrücke bei Hagen hat "Straßen NRW" eine der dringlichsten und größten betroffenen Brücken in Angriff genommen.
Nördlich des Autobahnkreuzes Hagen gelegen, überquert sie in einer Höhe von 20 bis 30 Metern über dem Gelände den Fluss Lenne, eine Bahnstrecke! (Sperrpausenplanung muss bei der Bahn AG 3 Jahre vorher angemeldet werden), das Werksgelände einer anliegenden Firma, eine Landesstraße und eine Kreisstraße. Der Verkehr über die A45 soll trotz des Neubaus weitgehend störungsfrei weiterlaufen.
Dank der guten beruflichen Kontakte des Kollegen Toni Schuhmacher konnten sich die Mitglieder des VDV Bezirks Essen vor Ort nicht nur ein Bild vom Stand der Arbeiten machen, sondern sie erfuhren auch aus erster Hand vom Projektleiter Straßen NRW, Dipl.-Ing. Michael Neumann, eine Vielzahl von Details zu der Baumaßnahme. In seinem Vortrag ließ er keine Zweifel aufkommen, dass bei dieser Baustelle die lückenlose Information der Bürger und die konstruktive Zusammenarbeit mit allen Beteiligten höchste Priorität hat.
In diesem Sinne entwickelt man z.B. gemeinsam mit der Biologischen Station Hagen verschiedene Maßnahmen, um seltene Tier- und Pflanzenarten im Lennetal auch während der Bauphase zu schützen. Ein altes Regenrückhaltebecken, in dem sich Frösche, Enten und andere Tiere angesiedelt hatten, wird durch ein Biotop ersetzt.
Ob Enten, Falken, Hamster, Fledermäuse, man setzt sich mit deren Anwälten an einen Tisch, sucht und findet gemeinsam Lösungen und verfügt auch über ein Budget zur Finanzierung der Maßnahmen.
Das alles setzt voraus, dass der Projektleiter ein geschickter Moderator ist, der nicht nur die Menschen überzeugen kann sondern selbst offen für Argumente ist. Die Fertigungsüberwachung ist in Relation dazu ein recht einfaches Unterfangen und kann an Ing.-Büros delegiert werden.
Weil die Zeit drängte, wurde bei der Lennetalbrücke kein eigenes Planfeststellungsverfahren durchgeführt, statt dessen wurden mit allen Betroffenen einvernehmliche Regelungen getroffen.
Die engagierte Informationspolitik ist allem Anschein nach ein geringer Preis für den Gewinn wertvoller Zeit. Eine theoretisch nie ganz ausgeschlossene Klage könnte zu unkalkulierbaren Verzögerungen führen.
Probleme sind zu vermeiden oder zu lösen.
Auch die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Straßen NRW und Generalunternehmer wurde lobend erwähnt. Man agiert lösungsorientiert, Streit ist unproduktiv. Rechtsanwälte haben keinen Platz in der Bauleitung. Selbst ein Wechsel der kompletten Mannschaft auf Seiten der Hochtief wurde problemlos verkraftet. Dass man bei den üblichen Kampfpreisen Nachträge einkalkulieren muss, auch darüber wurde gesprochen, ebenso darüber, dass die strikte Vergabe an den "Billigsten" dem Auftraggeber unterm Strich keinen nachhaltigen Nutzen bringt, während Auftragnehmer dadurch in eine existenzbedrohende Schieflage geraten können, deren gesamtwirtschaftlicher Schaden dann meist beträchtlich ist (s. Holzmann).
Die Bauphasen:
Anders als bei der Mehrzahl der Autobahnbrücken, die aus zwei getrennten Bauwerken bestehen, handelt es sich bei der Lennetalbrücke um eine monolithische Konstruktion. Es ist also nicht möglich, während der Verkehr über eine Brückenhälfte fließt, die andere Hälfte einfach abzureißen und einen Neubau zu errichten. Das führte zur Entwicklung des folgenden, sehr interessanten, aber auch aufwändigen Konzeptes:
· Westlich der vorhandenen Brücke werden provisorische Pfeiler errichtet, die ausschließlich dazu dienen, während der Bauphase den "endgültigen" Überbau für das neue westliche Brückenbauwerk aufzunehmen. (Taktschieben von beiden Seiten mit Freivorbau im mittleren Bereich über der Lenne.
· Anschließend wird der gesamte Verkehr von der alten Brücke auf den neuen Überbau umgeleitet und die alte Brücke wird abgebrochen.
· Die endgültigen Pfeiler und Widerlager für die beiden neuen Brückenbauwerke sowie der östliche Überbau (Bauweise wie beim westlichen Überbau) werden hergestellt.
· Anschließend wird der gesamte Verkehr auf den östlichen Überbau umgeleitet.
· Der westliche Überbau (ca. 1km lang) wird in einem Guss, von den provisorischen Pfeilern ca. 15m in Querrichtung nach Osten, auf die endgültigen Pfeiler geschoben.
· Abschließend wird auf der neuen Brücke der Endzustand hergestellt. Die provisorischen Pfeiler u.a. werden zurückgebaut.
Technische Details
Der Überbau der neuen Brücke besteht aus einem geschlossenen Stahlhohlkasten mit seitlich angeordneten Druckstreben. Die bis zu 160 t schweren, vorgefertigten Stahlteile werden per LKW angeliefert, im Taktkeller zusammengefügt, verschweißt, beschichtet und auf Teflonlagern von beiden Widerlagern aus Richtung Lenne, vorgeschoben. Als Gleithilfe kommt einfaches Spüli von ALDI zum Einsatz J. Der mittlere Teil der Brücke über die Lenne wird im Freivorbau errichtet.
Unter dem Link findet man bei der Überschrift "Der Bauablauf" ein Video, das den Vorgang anschaulich im Zeitraffer darstellt.
Vermessungsarbeiten
Für die Vermessungsarbeiten des Auftragnehmers ist das junge Ing.-Büro Loewel verantwortlich. Der, dynamische Ingenieur betonte besonders die Genauigkeit des vom AG erhaltenen Festpunktnetzes und die gute Zusammenarbeit. Manch ein Kollege reagierte etwas neidisch, da das auch heute noch nicht immer selbstverständlich ist. Seine eigenen Qualitätsansprüche beschrieb Loewel mit knappen Worten wie folgt: "TS 50 in 2 Lagen, gemessen wird überwiegend nachts, meteorologische Daten werden selbstverständlich berücksichtigt."
Dass die Temperatur bei einem Stahlüberbau von knapp 1 km Länge eine entscheidende Rolle spielt, bedarf eigentlich keiner Erwähnung. Wer sich trotzdem einmal die Mühe macht, den Einfluss einer Temperaturdifferenz von 50° auszurechnen, wird vielleicht doch etwas erstaunt sein. *)
Schlussbemerkung
Es ist sehr zu wünschen, dass die pragmatische, lösungsorientierte Einstellung des Auftraggebers als Vorbild für künftige Projekte dient.
Für die freundliche Aufnahme, die professionelle Präsentation und die persönliche Führung bedanke ich mich im Namen aller Teilnehmer noch einmal ganz herzlich bei dem Projektleiter von Straßen NRW, Dipl.-Ing. Michael Neumann sowie bei dem für den Generalunternehmer Hochtief tätigen Geodäten, Dipl.-Ing. Loewel.
*) Auflösung zur Stahlausdehnung: 0,59m